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  LinkDienstag, 10. Oktober 2000
 
  ICANN-Wahlen: Eine erste Bilanz
Kurz vor Ende der ICANN-Wahlen 2000 ist Zeit, auf ihren Ablauf zurückzublicken. In fast allen Phasen der Wahl gibt es Verbesserungsbedarf.
 
Erstens: ICANNs Mitgliedersuche
Von einer geordneten Mitgliederwerbung kann kaum eine Rede sein: Einer Gruppe von Freiwilligen wurde die Aufgabe überlassen, die Internetorganisation bekannt zu machen und für eine Teilnahme an den Wahlen zu werben. ICANN selbst hat bis kurz vor der Wahl nur wenige Webseiten auf Englisch bereitgehalten. Erst durch die Aufmerksamkeit der Medien und durch regelrechte Kampagnen sind vor allem in Deutschland, Japan und China die Internetnutzer zur Registrierung gebracht worden. In vielen anderen Ländern und Regionen ist ICANN immer noch unbekannt.
Dass ICANN zwischenzeitlich Probleme hatte, den Versand der PIN-Briefe aus den Fördermitteln der Markle-Stiftung zu bezahlen, erfuhr auch die Markle-Stiftung erst spät. Schließlich gab es in den letzten Tagen vor Anmeldeschluss einen derartigen Ansturm auf den Anmeldeserver, dass Anmeldungen misslangen oder nur nach vielen Versuchen möglich waren.
 
Zweitens: Die Vorwahlen
Ursprünglich hatte die Mitgliedernominierung den wenig charmanten Namen "self-nomination" und war mit hohen Hürden versehen -- Bewerber, die nicht vom Nominierungskomitee aufgestellt wurden, hatten kaum eine Chance. Erhebliche Proteste sorgten zumindest für eine Absenkung dieser Hürde auf zwei Prozent. Unverständlich blieb vielen die Entscheidung des Nominierungskomitees, in Europa fünf der sieben Listenplätze mit eigenen Kandidaten zu besetzen: Offenbar wurden die europäischen ICANN-Mitglieder als so unberechenbar angesehen, dass sie bei der Wahl an die Hand genommen werden sollten. Es konnte daher kaum überraschen, dass zwei ICANN-kritische Kandidaten auf die beiden freien Plätze gewählt wurden.
 
Drittens: Wahlkampf im Forum
Einigermaßen gut hat ICANN das Forensystem umgesetzt, in dem die Kandidaten auf Fragen der ICANN-Mitglieder antworteten: Sobald ein Kandidat eine Frage beantwortete, erschienen Frage und Antwort im Web und erzeugten damit einen gewissen Druck auf die anderen Kandidaten, ebenfalls zu reagieren. Kandidaten, die sich weder auf Kandidatur-Webseiten oder Mailinglisten noch im Forum geäußert haben, dürften ihre Chancen eher vermindert haben.
 
Viertens: Abstimmung per Klick
Für den technischen Abstimmungsvorgang war nicht ICANN, sondern election.com verantwortlich. Auch wenn die Probleme an den ersten beiden Tagen der ICANN-Wahlen nicht hätten auftreten dürfen -- sie wurden schnell gelöst und führten offenbar nicht zu Sicherheitslücken. Das Wahlkomitee hat sich für ein sinnvolles Abstimmungsverfahren entschieden, das dem Wähler eine differenzierte Entscheidung abverlangt; überraschende Siege von "lachenden Dritten" werden erschwert.
 
Fazit: Viel Licht, viel Schatten
Vorzuwerfen ist ICANN vor allem das Verhalten in der Anfangsphase der Wahl: Zum einen bestand offensichtlich kein Interesse daran, möglichst viele Internetnutzer zu informieren und zu beteiligen. Zum anderen hat sich ICANN mit dem Nominierungskomitee und der auf sieben begrenzten Kandidatenzahl wenig Freunde gemacht. Das Wahlergebnis wird zeigen, ob die ICANN-Mitglieder ebenfalls alle sieben Kandidaten für geeignet halten.
Auf der anderen Seite hat sich das kleine ICANN-Team sichtlich bemüht, mit der für alle überraschenden Lage umzugehen. Der Anmeldeserver wurde kurzfristig optimiert, um nicht noch mehr Interessierten den Weg zur ICANN-Mitgliedschaft zu versperren. Informationen zur Wahl wurden schließlich übersetzt, und mit den Kandidatenforen wurde ein zwar verbesserungsfähiges, aber praktikables Frage-Antwort-System eingesetzt. Vorwürfe, dass ICANN die PIN-Briefe nicht verschickt und Anmeldungen absichtlich abgeblockt habe, gehören ins Reich der Verschwörungstheorien, die im Internet einen guten Nährboden vorfinden.
Da nun die erste ICANN-Wahl kurz vor dem Abschluss steht, darf der Hinweis nicht fehlen, dass es womöglich auch die letzte war: Nach einer ausführlichen Studie soll 2001 entschieden werden, wie (ob?) die Internetnutzer in Zukunft an der Wahl des ICANN-Direktoriums und anderen ICANN-Entscheidungen beteiligt werden. Da jedoch das Medieninteresse stark gestiegen ist und sich Gruppen wie CDT und Common Cause weiterhin engagieren, würde eine Beschneidung der Nutzerbeteiligung auf heftigen Protest stoßen und ICANN vermutlich den Boden unter den Füßen entziehen.
11:14h     


© Copyright 2002 Alexander Svensson.